Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 01/2025:
Verkehrsrecht
- Sorgfaltspflicht: Alleinhaftung des Auffahrenden bei Zweitunfall
- Fahrerlaubnis auf Probe: Medizinisch-psychologisches Gutachten nach erneutem Verkehrsverstoß in neuer Probezeit
- Cannabis-Legalisierung: Fahrlehrer: Fahrerlaubnisentzug nach Cannabis-Konsum?
Abschließende Hinweise
Verkehrsrecht
Sorgfaltspflicht: Alleinhaftung des Auffahrenden bei Zweitunfall
| Wer Anzeichen für einen Verkehrsunfall auf der eigenen Fahrbahn ignoriert und mit voller Geschwindigkeit auf die Unfallstelle zufährt, kann keinen Schadenersatz wegen einer Kollision verlangen. Das hat das Landgericht (LG) Lübeck entschieden. |
Kollision mit einem Rehkadaver
Ein Mercedes-Fahrer kollidierte auf der Autobahn mit einem Reh. Sein Fahrzeug verlor hierbei einige Teile auf dem linken Fahrstreifen. Dort blieben auch Teile des Rehkadavers liegen. Mehrere Minuten nach dem Unfall erreichte ein Audi-Fahrer die Erstunfallstelle. Er fuhr auf dem linken Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h. Dabei bemerkte er eine Person, die 500 Meter vor ihm ohne Warnweste auf seinem Fahrstreifen lief. Auf Höhe dieser Person will der Audi-Fahrer mit Teilen des Reh-Kadavers kollidiert sein, wodurch erhebliche Schäden am Fahrzeug entstanden sein sollen.
Der Audi-Fahrer wollte diesen Schaden vollständig ersetzt bekommen. Die Erstunfallstelle sei bei seinem Eintreffen nicht abgesichert gewesen und er habe seine Geschwindigkeit bis hin zur Vollbremsung reduziert, sobald er die Person auf seinem Fahrstreifen bemerkt habe. Die Versicherung der Eigentümerin des Mercedes lehnte das ab. Darauf versuchte der Audi-Fahrer seinen Anspruch vor dem LG Lübeck gegen die Versicherung und den Mercedes-Fahrer durchzusetzen.
Sorgfalt außer Acht gelassen
Nach Ansicht des Gerichts wurde der Zweitunfall ganz überwiegend durch den Audi-Fahrer selbst verursacht. Indem er „die ausreichende Absicherungsmaßnahme durch das Warndreieck und die Bedeutung einer betriebsfremden Person auf der Autobahn grob missachtet hat und darauf verzichtet hat, dies zum Anlass zu nehmen, um besonders aufmerksam zu sein, seine Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich bremsbereit zu halten, hat er jegliche Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der durch ihn selbst vorgetragenen Ausgangslage erforderlich gewesen wäre, um sich vor Schäden zu bewahren“. Er habe sich schließlich „sehenden Auges ohne sachlichen Grund selbst in Gefahr begeben“. Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht eine Haftung des Mercedes-Fahrers und der Versicherung nicht für gerechtfertigt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 29.12.2023, 9 O 1/22
Fahrerlaubnis auf Probe: Medizinisch-psychologisches Gutachten nach erneutem Verkehrsverstoß in neuer Probezeit
| Gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der nach der Begehung von mindestens einer schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) auf die Fahrerlaubnis verzichtet und der nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung(en) begeht, muss die zuständige Fahrerlaubnisbehörde wie im Fall einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung in entsprechender Anwendung des Straßenverkehrsgesetzes (hier: § 2a Abs. 5 S. 5 StVG) in der Regel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Negative Beurteilung der Fahreignung
Dem Kläger wurde erstmals im Juli 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle und einer weiteren Kontrolle aus Anlass von Verkehrsverstößen wurde der Konsum von Cannabis festgestellt. Darauf verlangte die Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten führte zu einer negativen Beurteilung seiner Fahreignung, worauf er auf seine Fahrerlaubnis verzichtete.
Neuerteilung der Fahrerlaubnis
Auf der Grundlage eines nun positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens wurde dem Kläger im Juli 2020 die Fahrerlaubnis der Klasse B neu erteilt. Zwei Monate später überfuhr er eine bereits länger als eine Sekunde rote Ampel. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete erneut die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und stützte sich hierfür auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG.
Entziehung der Fahrerlaubnis
Nachdem der Kläger das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hatte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben, weil die Anordnung der Beibringung eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG habe gestützt werden können. Die Vorschrift gelte nach ihrem Wortlaut nur, wenn die erste Fahrerlaubnis entzogen worden sei und nicht, wenn der Betroffene wie hier auf die Fahrerlaubnis verzichtet habe. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat hingegen die Vorschrift auf den Verzicht für entsprechend anwendbar gehalten und die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis abgewiesen.
So sieht es das Bundesverwaltungsgericht
Das BVerwG hat die Rechtsauffassung des OVG bestätigt. Die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens konnte auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG in entsprechender Anwendung gestützt werden.
Die Fahrerlaubnis auf Probe wurde im Jahr 1986 eingeführt. Sie soll allen Fahranfängern deutlich machen, dass sie sich in einer Probezeit bewähren müssen. Mit dem Gesetz zur Änderung des StVG vom 24.4.1998 reagierte der Gesetzgeber auf den Versuch, die Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe durch Verzicht und anschließenden Neuerwerb zu umgehen. Es hatte zum Ziel, dass die Regelungen für den Fall der Entziehung auch beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis Anwendung finden.
Gesetzliche Regelungslücke
Für die hier in Rede stehenden Regelungen über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und Zuwiderhandlung in der neuen Probezeit (§ 2a Abs. 5 StVG) sollte ebenfalls eine Gleichstellung erfolgen. Ausdrücklich geregelt wurde sie nur für das Erfordernis der Teilnahme an einem Aufbauseminar vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis, nicht für die Anforderung eines Gutachtens nach erneuter Nichtbewährung in der neuen Probezeit. Das Ziel, einer Umgehung der Probezeit mit ihren besonderen Maßnahmen zu begegnen, sowie Sinn und Zweck der Vorschriften, im Interesse der Verkehrssicherheit auf alle Fahranfänger gleiche Regeln anzuwenden, rechtfertigen die Annahme einer nicht beabsichtigten Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu schließen ist.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 10.10.2024, 3 C 3.23, PM 47/24
Cannabis-Legalisierung: Fahrlehrer: Fahrerlaubnisentzug nach Cannabis-Konsum?
| Am 1.4.24 sind das Konsumcannabisgesetz (KCanG) und das Cannabisgesetz (CanG) in Kraft getreten. Diese enthielten auch Änderungen zur Fahrerlaubnisverordnung (FEV). Betroffen waren vor allem die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsum. Die Änderungen zielen darauf ab, die (neue) Rechtslage zu präzisieren und gleichzeitig auf die (Teil)Legalisierung zu reagieren. Es liegt nun eine erste Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts (OVG) zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum nach neuem Recht vor. |
Fahrlehrer konsumierte regelmäßig Cannabis
Im Fall des OVG Saarland war einem Fahrlehrer die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums entzogen worden. Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte zwar beim OVG keinen Erfolg. Das OVG macht aber interessante Ausführungen zu den Auswirkungen des KCanG/CanG: Es verweist darauf, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist. Die Widerspruchsbehörde müsse ihrer Entscheidung daher ggf. das am 1.4.24 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen.
Neues Recht einschlägig
Mit der Neuregelung hat der Normgeber seine bisherige Annahme aufgegeben, dass mit einem regelmäßigen Konsum im Regelfall mangelnde Kraftfahreignung einhergeht. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit ist damit in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen.
Abhängigkeit oder Unbedenklichkeit?
Zwar geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit drängt sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nun die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind. Nach ihnen ist zu beurteilen, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt.
Begutachtung erforderlich
Das auf die alten Beurteilungsleitlinien gestützte Argument, bei regelmäßigem Cannabiskonsum liege im Regelfall Cannabismissbrauch vor, hat demgegenüber nach Auffassung des OVG das Potenzial, den Willen des Normgebers zu konterkarieren. Vielmehr stellt das OVG klar: Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.
Quelle | OVG Saarland, Urteil vom 7.8.2024, 1 B 80/24, Abruf-Nr. 243959 unter www.iww.de
Ihr Ansprechpartner für Verkehrsrecht in Berlin – Rechtsanwalt Thomas Brunow

Rechtsanwalt Thomas Brunow ist Ihr erfahrener Rechtsanwalt für Verkehrsrecht in Berlin Mitte. Als Spezialist auf diesem Gebiet vertritt er Mandanten ausschließlich in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten – von der Schadenregulierung über Bußgeldverfahren bis hin zur Verteidigung in Verkehrsstrafsachen.
Dank seiner langjährigen Erfahrung und seiner Tätigkeit als Vertrauensanwalt des Volkswagen- und Audi-Händlerverbandesgenießt er großes Vertrauen in der Automobilbranche. Zudem ist er aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht.
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